Georgien im Überblick

Waren es anfangs gutbetuchte Adelsfamilien aus dem russischen Zarenreich, die sich an Georgiens subtropischer Schwarzmeerküste ihre Sommerpaläste bauten, kamen nach der Oktoberrevolution die proletarischen Massen an die begehrten Strände, die man fortan „Sowjet-Riviera“ nannte. In wenigen kurzen Wochen den heimischen tristen Alltag gegen die Exotik eines Warmwasserlandes einzutauschen, wurde der Urlaubshit für Millionen Werktätige. Das ist Vergangenheit.

Heutzutage fehlen die sonnenhungrigen Massen, zeugen bröckelnde Fassaden einst prächtiger Adelsresidenzen und sozialistische Investitionsruinen vom unrühmlichen Ende gleich zweier russischer Großreiche und was an noch neueren Spuren der Verwüstung hinzukommt, resultiert aus den Bürgerkriegen der Nachsowjetära.

Gergeti-Dreifaltigkeitskirche, oberhalb von Stepanzminda (Kazbegi) in etwa 2.200 m Höhe

Gergeti-Dreifaltigkeitskirche, oberhalb von Stepanzminda (Kazbegi) in etwa 2.200 m Höhe

Georgien als Reiseland – das ist eine etwas zwiespältige Erfolgsgeschichte mit einem abrupten Ende gegen Mitte der neunziger Jahre, als im Gefolge der postsowjetischen Sezessionskriege die touristische Infrastruktur zerfiel und die Besucherzahlen gegen Null tendierten. Doch gegen alle Widrigkeiten wurde der Neuanfang gewagt. Erste bescheidene Erfolge zeichnen sich ab und sollten Unbequemlichkeiten und Mängel noch hier und da den Besuchern zu schaffen machen, steht ihnen eine über alle Maßen gastfreundliche Bevölkerung zur Seite. Wenn die Zeiten friedlich bleiben, wird Georgien an alte Erfolge anknüpfen können, verfügt das Land doch über phantastische touristische Ressourcen. Mögen auch die abchasischen Schwarzmeerbadeorte unerreichbar geworden sein, so sind doch andere attraktive Landesteile wieder zugänglich, die zu Sowjetzeiten militärische Sperrbezirke waren, und noch immer verspricht der Kaukasus das ultimative Gebirgserlebnis, dazu gesellen sich Meeresküste und subtropische Üppigkeit, weinreiches Hügelland und Steppe: Eine Landschaft von „geradezu brachialer Schönheit“, die dicht besetzt ist mit den baulichen Zeugen einer großen Geschichte.

Das Jahrtausende alte Kulturland hat immer Fremde angezogen, beginnend mit der mythischen Reise des Jason und seiner Argonauten, die in der Kolchis mit Hilfe der Medea das Goldene Vlies suchten. Wo sie an Land gingen, beginnen wir unsere Rundreise.

Es ist warm und die Luft feucht in der Kolchis wie in einem Treibhaus. Die Böden haben sich mit Wasser vollgesogen, die Vegetation wuchert üppig. Tee gedeiht hier besonders gut, auch Zitrusfrüchte und Wein. Das fruchtbare Schwemmland der kolchischen Niederung begleitet auf gut 100 km den Unterlauf des Rioni-Flusses tief in das Landesinnere. Einige Küstensiedlungen der Region versuchen nach dem Wegfall der beliebten abchasischen Seebäder Touristen anzulocken – mit mäßigem Erfolg. Ganz anders sieht es in und um Batumi aus, der Hauptstadt Adschariens. Hier haben sich touristische Strukturen erhalten und sie wurden sogar durch Hotelneubauten ergänzt. Georgiens drittgrößte Stadt mit ihren etwas heruntergekommenen kleinen Bürgervillen, luxussanierten Zarenpalästen, dem Basar und passablen Stränden mausert sich zum Zentrum des georgischen Badetourismus. Auch Russen finden sich wieder ein und eine Handvoll Westeuropäer fühlt sich in italienische oder griechische Urlaubsorte der sechziger Jahre zurückversetzt.

Höhlenstadt Uplisziche

Höhlenstadt Uplisziche

Landeinwärts liegt Kutaisi, die frühere Hauptstadt des antiken Königreichs Kolchis, die auch fast fünf Jahrhunderte georgische Hauptstadt war, als Tiflis unter arabischer Herrschaft stand. Die Metropole Westgeorgiens beherbergt die malerischen Ruinen der Anfang des 11. Jahrhunderts gestifteten Kathedrale „Maria Entschlafen“ . Sie zählt seit 2017 nicht mehr zum UNESCO-Weltkulturerbe, da zu viele Rekonstruktionen vorgenommen wurden. Dagegen besitzt das 11 km entfernte Gelati-Kloster unverändert den Welterbestatus.. König Davit IV., eine der überragenden Herrschergestalten des georgischen Hochmittelalters, gründete 1106 den weitläufigen Klosterkomplex von Gelati. Um die beeindruckende Hauptkirche der Muttergottes, deren Fresken und Mosaiken zu den größten sakralen Schätzen Georgiens gehören, gruppiert sich ein Ensemble sehenswerter Klosterbauten.

Gelati-Klosterkomplex, hier: Inneres der Kathedrale

Gelati-Klosterkomplex, hier: Inneres der Kathedrale

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Aus dem milden Klima der westgeorgischen Landschaften Imeretien und Mingrelien führt uns die Reise in die raue südwestkaukasische Region , wo in der Abgeschiedenheit ihrer Hochtäler die ihrem alten Brauchtum verschriebenen, freiheitsliebenden Swanen leben, die sich wenig um das scheren, was im fernen Tiflis beschlossen wird, „die in Wehrtürmen die hohen Gipfel des Kaukasus bewachen, Winter um Winter der Übermacht der Natur trotzen und bei Gelegenheit auch vor Raub nicht zurückschrecken“. Uschguli liegt hier oben, Europas höchstgelegene, ständig bewohnte Siedlung (2.400 m), auch sie mit einem guten Dutzend Wehrtürmen ausgestattet, die dem Dorf das Gepräge einer Festung geben. Sie erinnern an eine noch kein Jahrhundert zurückliegende blutige Vergangenheit, als Sippenfehden und Blutrache unter den Swanen zum Alltag gehörten. Die Dörfer des Oberen Swanetien mit den martialischen fünfstöckigen Wehrtürmen stehen auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes.

Ehe wir weiter im Osten in diese Bergwelt zurückkehren, geht es hinunter durch die Ebene an den Fuß des Kleinen Kaukasus nach Borjomi, einem beliebten Kurort mit berühmten Mineralwasserquellen. In Borjomi wurde mit massiver deutscher Unterstützung ein Nationalparkkonzept verwirklicht, das für die Planung weiterer Vorhaben Modellcharakter besitzt. Den Borjomi-Kharagauli-Nationalpark im Kleinen Kaukasus gibt es seit April 2001. Seine Fläche von 68.000 ha umfasst Waldbiotope, Schluchten und alpine Wiesen in Höhen zwischen 400 und über 2.400 m. Hier hat der extrem seltene Kaukasus-Hirsch ein Rückzugsgebiet. Braunbären, Luchse, der Turkmenische Wolf, Uhu und Steinadler können bei einer Pirsch in Begleitung eines Park-Rangers beobachtet werden.

Von Borjomi führt die Route durch schöne Täler in die Dshavacheti-Provinz in Grenznähe zur Türkei zu einem der meistbesuchten georgischen Kulturdenkmäler, dem Höhlenkloster Wardsia. Es wurde während der Regierungszeit der hochgeschätzten Königin Tamar im 12. Jahrhundert in einen steilen Felshang hineingetrieben. An die 2.000 Säle und Kammern, so ist glaubwürdig überliefert, waren durch kilometerlange Stollen miteinander verbunden, in denen zur Blütezeit 800 Mönche lebten. In Krisenzeiten konnte das Höhlensystem rund 50.000 Menschen sicheren Unterschlupf gewähren.

Wardsia Höhlenkloster

Wardsia Höhlenkloster

Das zweite der drei georgischen Felsenstadtensembles heißt Uplisziche und liegt etwa 10 km von der Stadt Gori entfernt. Oberhalb des linken Kura-Ufers schichtet sich die in den Fels gehauene Stadt unregelmäßig über einen Gipfel. Ihre Anfänge liegen vermutlich im 2. vorchristlichen Jahrtausend und bis in das 18. Jahrhundert war die als uneinnehmbar geltende Stadtfestung bewohnt. Die erwähnte Provinzstadt Gori, eine Autostunde von Tiflis entfernt, zehrt von ihrer Vergangenheit als Geburtsort des Despoten Stalin. Über die Familienhütte, in der er die ersten vier Jahre seines Lebens verbrachte, hat man einen auf zwanzig Säulen ruhenden Tempel gestellt. Davor parkt auf dem Rasen der grüne gepanzerte Eisenbahnwaggon, in dem Stalin an die Front und zu den Konferenzen mit den Alliierten reiste.

Stalins Zug

Stalins Zug

Gegenüber dem „Tempel“ gibt es ein Stalin-Museum, besser gesagt: eine Stalin-Kultstätte. „Es zeigt nichts, weil es die Wahrheit verschweigt“, wie ein Besucher treffend bemerkte. Stalin wird in seiner Heimatstadt noch immer als Held verehrt und wie um das zu bestätigen, rief ein Passant von der anderen Straßenseite herüber: „Stalin ist unser Stolz, er war ein Genie“.

Hoch über Tiflis: die Nariqala – Festung

Hoch über Tiflis: die Nariqala – Festung

Dann endlich liegt sie vor uns, die Millionenstadt Tiflis (Tblissi) in einem Talkessel an den Ufern des Flusses Kura, den die Einheimischen Mtkvari nennen. Den schönsten Blick auf Georgiens Metropole hat man vom Davidsberg. Eine Seilschwebebahn führt hinauf. In der Ferne grüßen die Kaukasusgipfel und zu Füßen erkennt man die alten Quartiere der Stadt, die sich so auffällig von den modernen Stadtvierteln absetzen. Das alte Tiflis des 18. und 19. Jahrhunderts mit seinen farbenfrohen, zweistöckigen Holzhäusern, denen große Veranden und spitze Baldachine, Laubengänge und offene Treppenhäuser ihren besonderen Reiz verleihen, ist akut gefährdet. Dieses „Alte Tbilissi“, sein mittlerweile weltweit einzigartiges Holzhausensemble zu erhalten, ist wohl nur mit internationaler Unterstützung möglich.

Backsteinbauten der Schwefelbäder aus dem 17. Jahrhundert

Backsteinbauten der Schwefelbäder aus dem 17. Jahrhundert

Unzählige alte Kirchen lohnen den Besuch. Geschichtsmuseum und Kunstmuseum öffnen den Blick auf die reiche Geschichte des Landes und im Bäderviertel, wo die heilenden Schwefelquellen sprudeln, lässt es sich geruhsam pausieren, ehe man sich in das südländische Treiben der Flaniermeile Rustaweli-Prospekt stürzt.

Unterwegs auf der Georgischen Heerstraße, die den Kaukasus überquert und Georgien mit Russland verbindet

Unterwegs auf der Georgischen Heerstraße, die den Kaukasus überquert und Georgien mit Russland verbindet

Kein Besuch in Tiflis ohne einen Ausflug in das nahe Mzcheta! Die alte Hauptstadt Georgiens in frühchristlicher Zeit liegt am Zusammenfluss von Kura und Aragwi. Sie ist das bedeutendste religiöse Zentrum des Landes. Die Sweti-Zchoweli-Kathedrale, wo Georgiens Könige gekrönt wurden und nach der Überlieferung der Leibrock Christi aufbewahrt wird, und die Dschwari-Kirche zählen zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sehenswert auch das nahe gelegene Nonnenkloster Samtawro aus dem 11. Jahrh., in dessen Erlöserkirche sich die Grabstätten des ersten christlichen Herrscherpaares Georgiens befinden.

Mehr Zeit und Kondition verlangt eine Tour entlang der Georgischen Heerstraße durch eine außergewöhnlich reizvolle Landschaft zunächst zu der auf einem Vorgebirge thronenden Wehrkirche Ananuriund dann weiter in die Hochlagen des Großen Kaukasus. Die Georgische Heerstraße – sie verbindet Tiflis mit dem nordossetischen Wladikawkas in der Russischen Föderation – berührt Gudauri, Georgiens beliebtesten Wintersportort, und erreicht den Kreuzpass, der trotz seiner beachtlichen Höhe von 2.395 m der niedrigste Pass der kaukasischen Hochgebirgskette ist. Durch hochalpine Landschaften geht die Fahrt nach Kasbegi vor der Kulisse des 5.033 m hohen Kasbek, den die Georgier Mkinvartsveri („Eisgipfel“) nennen. Nicht weit von hier balanciert grandios auf einer Felsnase die Gergeti-Dreifaltigkeitskirche und dann folgt die Heerstraße dem Terek-Fluß in die imposante, sagenumwobene Darjal-Schlucht bis an die russische Grenze.

Unsere Tour in den Osten Georgiens führt an Achmeta vorbei, dem letzten Ort vor dem Pankisi-Tal, das seit vielen Jahren ein Refugium für tschetschenische Flüchtlinge und vermutlich auch Kämpfer ist. Nächstes Ziel ist das Städtchen Telavi am Hang der Gombori-Berge. Diese Gebirgsschwelle trennt das Äußere Kachetien, die weite, intensiv bewirtschaftete Hochebene des Iori-Flusses, vom Inneren Kachetien, das im wesentlichen mit dem fruchtbaren Alazani-Tal identisch ist. Beide kachetischen Landschaften nennt der Volksmund „Brotkorb und Weinkeller Georgiens“. Rund um Telavi gibt es nicht nur herrliche Landschaften zu genießen, es lockt auch so manches hochinteressante Architekturdenkmal wie etwa die weißgetünchte Georgskathedrale von Alaverdi aus dem 11. Jahrhundert oder die Akademie und drei Kirchen des Klosters von Ikalto, dessen Entstehung sich bis in das 6. Jahrhundert zurückverfolgen lässt sowie das schon im 5. Jahrhundert gegründete Kloster Alt-Schuamta nebst Neu-Schuamta, das im 16. Jahrhundert die Nachfolge antrat. Weiter geht es durch die Einsamkeit der Steppe auf steiniges Gelände zur dritten georgischen Felsenstadt, dem Höhlenkloster Davit Garedschi. Seine Anfänge liegen in frühchristliche Zeit, als hier nach und nach 13 Klöster in den weichen Sandstein gegraben wurden mit Kirchen, Mönchszellen, Versammlungsräumen. Dieses einst bedeutende religiöse und kulturelle Zentrum Ostgeorgiens zerbrach unter den Invasionen von Mongolen, Persern und Osmanen.

Im äußersten Südosten erstreckt sich zwischen Iori- und Alazani-Fluss die Bergsteppe von Shirak, die sich nach Süden langsam abstuft und am riesigen Stausee von Mingetschaur die Grenze zu Aserbaidschan bildet. Seit alters her führen die Fernwege nach Persien durch diese „geschlossene Siedlungskammer mit zahllosen z. T. auch mehrschichtigen Niederlassungen aus unterschiedlichen Zeitperioden“, wie das Deutsche Archäologische Institut verrät, das hier seit Jahren Ausgrabungen vornimmt.

Eckart Fiene


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